If a Tree Fell in a Forest

Was prägt das Bild
eine ehemaligen
Konzentrationslagers?

A Mirrored Image

Sollten Gedenkstätten
nur auf die Vergan–
genheit schauen?

Redpilled

Sind Räume ideologisch besetzt?

77 circles

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Es ist ein brutaler Akt, das Areal des Kommandantenhauses abzuholzen und freizulegen. 1945 hatte die britische Armee in Bergen-Belsen die Baracken und Gebäude des Konzentrationslagers niedergebrannt, um der Verbreitung von Krankheiten vorzubeugen. Anschließend blieb das Gelände weitgehend der Natur überlassen, die das Lager überwucherte. Seit 2007 wurde das ehemalige Lagergelände als Skizze seiner Topografie wieder freigelegt. Sichtbar ist dabei vor allem die breite und leere Schneise der früheren Lagerstraße.

Fast acht Jahrzehnte nach der Befreiung des Lagers, 2022, wurde auch der Boden, auf dem das Haus des Lagerkommandanten stand, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Auf Bitten des Künstlers Jakob Ganslmeier haben Bundeswehr-Reservisten die Bäume im vorderen Lagerbereich, dem sogenannten SS-Vorlager, gefällt. Das gelichtete Rechteck erinnert an eine riesige Wunde. Kann sich diese Lichtung durch den Akt des Offenlegens jemals in eine heilende Narbe verwandeln?

Was sagt uns dieses Nichts des leeren Raums? Weder die Bäume, die dort standen, noch die Reservisten, die sie gefällt haben, waren Zeugen der Nazi-Verbrechen. Sie sind vielmehr Zeugen des langen Schweigens danach. Es ist dieses Schweigen, das die Motorsägen drastisch unterbrechen.

Das Verschweigen und Bedecken der Geschichte ist wie eine Weigerung anzuerkennen, dass es Täter gab und dass es ohne Täter keine Opfer gegeben hätte. Es führt zu einem unvollständigen Bild der Lagergeschichte. 77 Circles gibt nicht vor, die Leerstelle des Kommandantenhauses ausfüllen oder verständlich machen zu können. Aber die Arbeit benennt die Existenz dieses Ortes und versucht damit, die Täter zu einem Teil der Gedenkstättenerfahrung und der Geschichte zu machen.

Welche unterschiedlichen Auffassungen über den Holocaust gibt es in der heutigen Bevölkerung Europas? Wer oder was prägt das Bild eines ehemaligen Konzentrationslagers? Der Spoken-Word-Künstler Onias Landveld und der Filmemacher Jakob Ganslmeier sprechen einige dieser Fragen in ihrem gemeinsamen Video A Mirrored Image an.

Ganslmeier ist in Dachau in Deutschland aufgewachsen, in der Nähe des ehemaligen Konzentrationslagers und der heutigen Gedenkstätte, während Landveld zunächst in Surinam und später in den Niederlanden aufgewachsen ist und nie zuvor ein ehemaliges Konzentrationslager besucht hat. „Meine Vorstellung ist von Hollywood geschult“, sagt Landveld im Film und meint damit die zahlreichen Darstellungen des Holocaust, die er in seiner Jugend vermittelt bekommen hat. In dieser Arbeit, die auf dem Gelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen in Deutschland realisiert wurde, wo wenig sichtbar geblieben ist, bat Ganslmeier ihn, seine Vorstellung von den Lagern des Nazi-Regimes in Worte zu fassen. Die Verbrechen des Kolonialismus haben Landvelds Vorstellung der von den Nazis verübten Grausamkeiten beeinflusst. Als er über das leere Gelände von Bergen-Belsen und die angrenzenden Truppenübungsplätze geht, fasst er das zusammen: „Meine Vorstellung ist schwarz.“

Das daraus entstandene Werk bringt die sehr verschiedenen Perspektiven der Künstler zusammen und öffnet damit neue Fragen: In welcher Beziehung stehen die Diskurse über den Holocaust und über Kolonialismus? Wie verhalten sich Erinnerungsnarrative an die Nazi-Verbrechen und postkoloniale Narrative zueinander? Welche Perspektiven führen zu welchem Bild? Kann man sie in einen Dialog miteinander bringen?

A Mirrored Image und das Format Spoken Word Poetry

Amanda Gorman (22) beeindruckte viele Menschen auf der ganzen Welt, als sie ihr Gedicht The Hill We Climb bei der Amtseinführung von Joe Biden am 20. Januar 2021 in Washington vortrug. Nur zwei Wochen zuvor, am 6. Januar, hatten Trump-Unterstützer das Kapitol gestürmt. Gorman, die sich in ihrer Arbeit mit den Themen race und racial justice in Amerika befasst, hatte das Gefühl, dass sie diesen Angriff in ihrem Stück nicht "schönfärben" könne, ebenso wenig wie die der vorangegangenen Jahre.

Gorman sprechen zu hören und zu sehen, wie sie auftritt, war für viele Menschen auf der ganzen Welt vielleicht der erste Kontakt mit Spoken Word Poetry - eine Erfahrung, die man nicht so schnell vergessen wird. In A Mirrored Image ist Spoken Word, verkörpert durch Onias Landveld, unmittelbar zu hören und zu sehen. Die auswendig gelernten Texte müssen laut gesprochen, vorgetragen werden. Rezitation, Wortspiele, Wiederholungen, Vergleiche und Alliterationen kennzeichnen die Gedichte, die häufig als Vehikel zum Thematisieren von sozialer Ungerechtigkeit, Politik, race und Gemeinschaft dienen. Stimme und Körper sind poetische Werkzeuge: Körpersprache, Handgesten, Augenkontakt, Aussprache, Intonation und Stimmlage sind Schlüssel zur Verbindung des Künstlers mit seinem Publikum. Der Reim ist keine Notwendigkeit, der Rhythmus schon: Elemente der Volksmusik, des Jazz oder des Hip-Hop bereichern die Präsentation. Der Text erhält seine Qualität nicht alleinig durch seine Darstellung, sondern durch die Phonästhetik, die Ästhetik des Klangs. Das gesprochene Wort ist Teil einer uralten mündlichen Kunsttradition, die lange vor der Verfügbarkeit von Druckerzeugnissen entstand.

Aus den Jahren zwischen 1943 und 1945, als das Konzentrationslager Bergen-Belsen in Betrieb war, gibt es keine fotografischen Aufzeichnungen. Bei der Erinnerung sind wir vielfach auf die mündlichen Zeugnisse von Überlebenden, Täter_innen und Zeug_innen angewiesen. Das Gedicht von Onias Landveld, dass die Arbeit A Mirrored Image prägt, spiegelt seine Auseinandersetzung mit seiner besonderen Verwicklung in die Verbrechen an der Menschheit in Bergen-Belsen und darüber hinaus wider. In gesprochenen Worten.

A MIRRORED IMAGE (2022)

Regie von Jakob Ganslmeier

Text und Erzählung von Onias Landveld

Kamera von Jakob Ganslmeier

Schnitt von Ana Zibelnik

Sound Design von Darius Timmer

Redpilled ist eine Videoarbeit über die Verbreitung der Alt-Right-Ideologie und ihrer Instrumentalisierung der Meme-Kultur. Die Arbeit befasst sich eingehend mit dem gefährlichen Humor und der Faszination durch Gewalt, die durch Memes verbreitet wird. Sie wird aus der Perspektive von Wojak (dt. Soldat) erzählt – einer weit verbreiteten Meme-Figur, die für ihre Wandlungsfähigkeit bekannt ist und eine Reihe menschlicher Stereotype verkörpert. Die Arbeit verdeutlicht, worauf die Meme-Bilder hinauslaufen: auf brutale, suggestive Gewalt und Grausamkeit. Im Video werden dabei sehr konkrete Bezüge hergestellt. So ist die Waffe des Attentäters von Christchurch ein klares Leitmotiv im Film. Auf diese Weise wird die Verbindung zwischen den vermeintlich nicht ideologischen und unrealistischen Bildern im Netz und ihren möglichen - und auch intendierten - gewalttätigen Konsequenzen im ‚echten Leben’ deutlich.

Der Meme-Humor wirkt auf den ersten Blick unschuldig, fast naiv. Dahinter steckt Kalkül. Ziel ist eine Besetzung der Bilder, die in verschiedenen Eskalationsstufen von unterschwellig und versteckt bis sehr deutlich und konkret eingesetzt wird. Rassistische, frauenfeindliche und antisemitische Witze sind Wegbereiter für extremistische Inhalte und Ideologien, die zu einer Grenzverschiebung des Sagbaren führen sollen. Durch ihre breite Wirkung in Online-Medien werden Memes immer mehr als Lockmittel für junge Menschen genutzt – ein effektiver Weg, um Elemente der Alt-Right-Ideologie zu verbreiten und sie immer weiter zu vernetzen.

Der Begriff Meme (vom griechischen mimema, ‚das Nachgemachte’), wurde zuerst 1976 vom britischen Biologen Richard Dawkins benutzt, der Memes als kulturelle Parallele zu biologischen Genen betrachtete. Es gibt ein festes Figurenrepertoire wie Wojak, Pepe, the Frog, Doge, Overly Attached Girlfriend oder Trollface, die sich ständig weiterentwickeln. Die Figur Wojak wurde anfangs als ein ansprechender, mit Microsoft-Paint gezeichneter ‚Ich kenne das Gefühl, Bro’-Typ mit einem verständnisvollen Gesichtsausdruck eingeführt. Er hat sich mit der Zeit weiterentwickelt: Von den ‚Doomern’ (Millenials) und ‚Zoomern’ (Generation Z) bis zu den älteren ‚Boomern’ (Baby Boomer). Obwohl die Memes sich gegenseitig parodieren, wird in der Regel aus der Sicht der ‚Doomer’ erzählt, die eine abschätzige Haltung gegenüber ‚Boomern’ einnehmen, oft kurz quittiert durch den Ausdruck ‚Ok Boomer’. Ein ‚Doomer’ ist hier typischerweise männlich und der Urtyp von Nihilismus und Resignation. Er ist Opfer äußerer Umstände und nimmt gegenüber globalen Problemen wie dem Klimawandel und der Überbevölkerung eine fatalistische Haltung ein. In einer gängigen Meme-Fantasie erhebt er sich über die sogenannten Normalos, weil er desillusioniert ist bzw. die „rote Pille“ genommen hat (‚redpilled’, ‚Red-Pilling’). Dieses Bild der roten Pille, das auf der Alt-Right-Imageboard-Webseite 4chan gängig ist, bezieht sich auf eine Schlüsselszene im Film Matrix von 1999. Bald nach Erscheinen des Films wurde das Symbol der roten Pille von Rechtsextremen übernommen und in dem Sinn verwendet, dass eine Person ihre Illusion über die Realität ablegt und sich entsprechend rechter Ideologien radikalisiert.

Glossar

Brenton Tarrant, der für zwei aufeinanderfolgende Massenerschießungen in zwei Moscheen in Christchurch, Neuseeland (2019), verantwortlich ist, hat seine beiden Gewehre vom Typ AR-15 mit handschriftlichen Texten versehen, die sich auf rechtsextreme Ideologien und frühere Terroranschläge beziehen. Tarrant nannte den norwegischen Terroristen Anders Behring Breivik, Dylann Roof und andere als Inspiration.

Einige der Symbole, die während der Anschläge auf seinen Gewehren und seiner Kleidung erschienen:

  • 14

    Kurzform für Fourteen Words, "Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für weiße Kinder sichern", geprägt von dem weißen Rassisten David Lane.

  • Die Eiserne Garde (rumänisch: Garda de Fier) war eine rumänische militante revolutionäre faschistische Bewegung und politische Partei, die 1927 von Corneliu Zelea Codreanu gegründet wurde.

  • Die Othala-Rune ist Teil mehrerer Runenalphabet-Systeme, die im vorrömischen Europa verbreitet waren. Die Nazis übernahmen diese Rune neben anderen in ihre Symbolik, was dazu führte, dass sie seither ein beliebtes Symbol der weißen Rassisten ist.

  • Die schwarze Sonne ist ein weiteres Beispiel für alte europäische Symbole, die sich die Nazis bei ihrem Versuch, ein idealisiertes "arisch-/nordisches" Erbe zu erfinden, angeeignet haben. Insbesondere die SS unter Reichsführer Heinrich Himmler verwendete das Symbol der schwarzen Sonne, was Neonazis und andere moderne weiße Rassisten dazu veranlasst hat, das Zeichen zu übernehmen.

  • 2083

    Eine Anspielung auf das ausführliche Manifest von Anders Breivik.

  • Feliks Kazimierz Potocki

    Nahm 1683 während des Großen Türkenkriegs an der Wiener Expedition teil und kämpfte in vielen Schlachten gegen Tataren und Türken.

  • Sebastiano Venier

    Doge von Venedig, der während des Vierten Osmanisch-Venezianischen Krieges gegen die Türken kämpfte.

  • Alexandre Bissonnette

    Der Student, der am 29. Januar 2017 in die Moschee von Quebec City eindrang und das Feuer auf 40 Menschen und vier Kinder eröffnete.

  • Tours 732

    Schlacht von Tours, 732. Das Königreich der Franken besiegt die Streitkräfte der Al-Andalus-Araber in Zentralfrankreich und stoppt deren Vormarsch.

  • Wien 1683

    Belagerung und Schlacht von Wien, 1683. Der weiteste Vorstoß der Osmanen in Europa.

  • Turkofagos

    Wörtlich übersetzt: Türkenfresser. Der Spitzname wurde dem griechischen Revolutionär Nikitaras oder Nikitas Stamatelopoulos während der griechischen Revolution und des Unabhängigkeitskrieges von 1821 gegen die osmanische Besatzung zugeschrieben. Das Wort wird von Griechen heutzutage immer noch verwendet, um jemanden zu bezeichnen, der einen tief verwurzelten Hass gegen die türkischen Nachbarn hegt.

Weitere Symbole und Zeichen der rechtsradikalen Szene:

  • Seit den frühen 1800er Jahren wurde die Geste zunehmend mit dem Wort "okay" oder seiner Abkürzung "ok" in Verbindung gebracht. In jüngster Zeit hat die Handgeste "ok" eine neue und andere Bedeutung erlangt, nachdem sie von weißen Rassisten verwendet wurde, um die Buchstaben "wp" auszudrücken, eine Abkürzung für "white power".

  • 23/16

    Stehen für den dreiundzwanzigsten und sechzehnten Buchstaben des Alphabets, W und P, und bedeuten "White Power" oder "White Pride".

  • 9%

    Der Prozentsatz der Weltbevölkerung, der angeblich weiß ist.

  • 18

    Bezieht sich auf den ersten und achten Buchstaben des Alphabets und ergibt "AH" oder Adolf Hitler.

  • 88

    Ein numerischer Code der weißen Vorherrschaft für "Heil Hitler". H ist der achte Buchstabe des Alphabets, also steht 88 für HH oder Heil Hitler.

  • 311

    311 ist eine Zahl, die von Ku-Klux-Klan-Mitgliedern verwendet wird, um den Klan zu bezeichnen. Der elfte Buchstabe des Alphabets ist der Buchstabe "K"; somit ergibt 3 mal 11 "KKK", d. h. Ku-Klux-Klan.

  • 100%

    Ein Ausdruck der rein arischen oder weißen Wurzeln einer Person.

  • Day of the rope

    Ein Ausdruck, der sich auf ein fiktives Ereignis in dem Neonazi-Buch The Turner Diaries bezieht. In dem Roman ist der "Day of the rope" ein Ereignis, bei dem innerhalb eines Tages Massenlynchmorde an Minderheiten, Journalisten, "Rassenmischern" und Politikern verübt wurden.

  • The Great Replacement

    Der Begriff wurde erstmals in dem Buch Le Grand Replacement des französischen Schriftstellers Renaud Camus aus dem Jahr 2011 verwendet. Er weist viele Gemeinsamkeiten mit anderen Verschwörungstheorien auf, die behaupten, Pläne zur Übernahme oder Verschmutzung der "weißen Rasse" aufzudecken, insbesondere mit David Lanes "white genocide conspiracy theory" (ca. 1988).

REDPILLED (2023)

Drehbuch und Regie von Jakob Ganslmeier & Ana Zibelnik

Animation von Oddkin

Sound Design von Daniel Hermann-Collini

Es ist ein brutaler Akt, das Areal des Kommandantenhauses abzuholzen und freizulegen. 1945 hatte die britische Armee in Bergen-Belsen die Baracken und Gebäude des Konzentrationslagers niedergebrannt, um der Verbreitung von Krankheiten vorzubeugen. Anschließend blieb das Gelände weitgehend der Natur überlassen, die das Lager überwucherte. Seit 2007 wurde das ehemalige Lagergelände als Skizze seiner Topografie wieder freigelegt. Sichtbar ist dabei vor allem die breite und leere Schneise der früheren Lagerstraße.

Fast acht Jahrzehnte nach der Befreiung des Lagers, 2022, wurde auch der Boden, auf dem das Haus des Lagerkommandanten stand, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Auf Bitten des Künstlers Jakob Ganslmeier haben Bundeswehr-Reservisten die Bäume im vorderen Lagerbereich, dem sogenannten SS-Vorlager, gefällt. Das gelichtete Rechteck erinnert an eine riesige Wunde. Kann sich diese Lichtung durch den Akt des Offenlegens jemals in eine heilende Narbe verwandeln?

Was sagt uns dieses Nichts des leeren Raums? Weder die Bäume, die dort standen, noch die Reservisten, die sie gefällt haben, waren Zeugen der Nazi-Verbrechen. Sie sind vielmehr Zeugen des langen Schweigens danach. Es ist dieses Schweigen, das die Motorsägen drastisch unterbrechen.

Das Verschweigen und Bedecken der Geschichte ist wie eine Weigerung anzuerkennen, dass es Täter gab und dass es ohne Täter keine Opfer gegeben hätte. Es führt zu einem unvollständigen Bild der Lagergeschichte. 77 Circles gibt nicht vor, die Leerstelle des Kommandantenhauses ausfüllen oder verständlich machen zu können. Aber die Arbeit benennt die Existenz dieses Ortes und versucht damit, die Täter zu einem Teil der Gedenkstättenerfahrung und der Geschichte zu machen.

Der eingesprochene Text wurde von den folgenden Autoren inspiriert und an einigen Stellen angepasst: Tim Cole, Holocaust Landscapes (2016), Ulrich Baer - Spectral Evidence (2002), Walid Raad, I Might Die Before I Get a Rifle (2011), Dora Apel, War Culture and the Contest of Image (2012), Armandos Begriff der "guilty landscapes" und Texte von Nick Cave.

Einleitung von Dr. Elke Gryglewski

Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Wir leben inzwischen in großer zeitlicher Distanz zum NS. Unsere Gesellschaft ist durch postnationalsozialistische, postmigrantische und postkoloniale Perspektiven geprägt. Die Beschäftigung mit Täterschaft bei NS Verfolgung kann uns helfen, gemeinsam Verantwortung zu klären und Folgerungen in der Gegenwart zu ziehen. Wenn wir als Gesellschaft aus der Geschichte lernen möchten, müssen wir uns mit der Perspektive der Täter_innen und Zuschauer_innen der NS-Verfolgung beschäftigen. Welches waren ihre Motive, andere auszugrenzen, zu verfolgen oder zu ermorden? Wie haben sie davon profitiert, die Politik zu unterstützen und mitzutragen? Warum haben viele weggeschaut? Diese Fragen sind oft unbequem und manchmal schmerzhaft, weil sie eigene familiäre Verstrickungen berühren können.

Das Gelände des Kommandantenhauses des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen steht für einen der Orte, die Täterschaft symbolisieren können – wenn der Ort seines Bestehens freigelegt ist und beim Publikum Fragen hervorruft. Welches Gebäude stand hier? Wer war der Kommandant? Wie war er? Gehörte er zu den „ganz normalen Männern“ oder zu denjenigen Täter_innen, denen das System die Möglichkeit gab, ihre sadistische Ader auszuleben? Damit knüpft das Projekt an Fragestellungen an, die für alle Arbeiten gelten: Welche Perspektiven müssen im Umgang mit der Vergangenheit berücksichtigt werden, um die Dimension der Verbrechen zu begreifen und die Opfer nicht zu vergessen? Wie können wir die ideologischen Kontinuitätslinien nach 1945 verdeutlichen, um ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Prävention/Sensibilisierung gegen/für bleibendes antisemitisches, rassistisches und rechtsextremes Gedankengut zu schaffen?

77 CIRCLES (2023)

Regie von Jakob Ganslmeier

Stimme von Ana Zibelnik

Kamera von Jakob Ganslmeier und Ana Zibelnik

Schnitt von Ana Zibelnik und Jakob Ganslmeier

Sound Design von Daniel Hermann-Collini

Text Editoren von Isabel Fargo Cole, Jaka Gercar

77 circles